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Rieselhilfen in Tütensuppen, antibakterielle Silber-Partikel in der Frischhaltedose und winzige Kapseln in Vitaminpräparaten: Nanomaterialien kommen längst auch in der Nahrungsmittelbranche zum Einsatz. Eine Kennzeichnungspflicht besteht nicht. Was das für die Verbraucher bedeutet, erklärt Jurek Vengels, Nanotechnologie-Experte beim "Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland" (BUND). Der Politikwissenschaftler ist auch Mitglied im "NanoDialog", einer Gesprächsrunde von Bundesumweltministerium, Wirtschaft, Wissenschaft und gesellschaftlichen Gruppen.

Planet Wissen (PW): Der BUND veröffentlichte 2008 den Bericht "Aus dem Labor auf den Teller - Die Nutzung der Nanotechnologie im Lebensmittelsektor". Darin findet sich auch eine Liste mit Dutzenden Beispielen, wo Nanopartikel im Lebensmittelbereich vorkommen. Warum erkennt man im Supermarkt das Nanofood nicht?

Jurek Vengels (J.V.): Dafür gibt es zwei Gründe. Zum einen gibt es keine Kennzeichnungspflicht für Nanoprodukte, sodass man im Laden in der Regel nicht erkennen kann, ob Nanomaterialien im Produkt sind oder nicht. Zum anderen weisen die Hersteller auch nicht von selbst darauf hin, dass Nanomaterial in ihrem Produkt vorkommt, da sie sich bewusst sind, dass die meisten Verbraucher der Nanotechnologie im Essen eher skeptisch gegenüber stehen.
Gerade große Hersteller sind bei Lebensmitteln sehr vorsichtig mit dem Etikett-Zusatz "nano": Wenn dieser Hinweis nämlich beim Verbraucher negativ ankommt, ist mitunter die gesamte große Marke gefährdet. Ein kleinerer Nischenanbieter hingegen sieht in der Nanokennzeichnung aber genau die Chance, sein Produkt zu verkaufen. Es gibt ja immer Verbraucher, die bestimmte Sachen gut finden - in diesem Fall halt Nanozusätze -, auch wenn die Mehrheit das vielleicht nicht tut.
Kräuter in einer quadratischen Frischhaltedose ohne Deckel. (Rechte: Mauritius/imagebroker)
Nicht un­ge­fähr­lich: Na­no­food und Na­n­odo­sen

PW: Warum sind die Verbraucher bei Nanofood denn so skeptisch und setzen gleichzeitig all ihre Hoffnung in Nanokrebstherapien?

J.V. In der öffentlichen Wahrnehmung ist der Nahrungsmittel-Bereich der sensibelste Sektor für Nanoanwendungen, weil es eben darum geht, dass man Nanomaterialien direkt aufnimmt. Bei Nanomedizintherapien ist es natürlich genauso, aber hier ist man eher bereit, ein Risiko einzugehen: Die Nanomaterialien können ja möglicherweise besser heilen als bisherige Mittel und Methoden. Bei Lebensmitteln ist jedoch kein Verbraucher bereit, irgendein Risiko einzugehen: Er möchte, dass das Produkt möglichst sicher ist.
Neun bunte Frischhaltedosen sind neben- und aufeinander gestapelt. (Rechte: imago/Norbert Schmidt)
Frisch­hal­te-​Do­sen: An­ti­bak­te­ri­ell dank Na­no­be­stand­tei­len

Andererseits werben gerade Nahrungsergänzungsmittel mit dem Zusatz "nano": Diese Präparate schluckt beziehungsweise trinkt man doch auch. Soll hier "nano" auf dem Etikett suggerieren, dass man ein Lifestyle-Produkt kauft und zu sich nimmt?

J.V.: Der Begriff "nano" an sich ist durchaus trendy. Es gibt ja zum Beispiel den "iPod nano", der ein Verkaufshit ist. Da haben sich sicher manche Firmen gedacht: "Wir machen jetzt auch ein Produkt, das Nano heißt. Vielleicht verkauft sich das ja genauso toll." Bei den Nahrungsergänzungsmitteln wird außerdem die angebliche Wirkung von Nanopartikeln als Verkaufsargument genutzt: Die Nanomaterialien sollen ja beispielsweise dazu dienen, dass die Nährstoffe oder Vitamine besser im Körper ankommen. Und Firmen im Verpackungsbereich bewerben Nanosilber bei Schneidebrettern und Frischhalteboxen als antibakteriell.
Grafische Darstellung eines Fullerens, das ein Ion wie eine Kapsel umhüllt. (Rechte: Mauritius)
Na­no­kap­seln: Fuß­ball­mo­le­kü­le als Hülle für Vit­ami­ne und Co.

PW: Wo genau verstecken sich Nanopartikel, also in welchen alltäglichen Lebensmitteln werden Nanomaterialen eingesetzt, ohne dass man sie erkennt?

J.V.: In pulverförmigen Lebensmitteln wie Salz, Tütensuppen und Kaffeeweißer kommt nanokleines Siliziumdioxid als sogenannte Rieselhilfe zum Einsatz: Es soll verhindern, dass das Pulver verklumpt, damit das Produkt später gut aus der Verpackung rieselt. Ein weiterer wichtiger Bereich neben den Nanopartikeln sind Nanokapseln: Diese schließen Vitamine, Farbstoffe, Konservierungsstoffe und Ähnliches ein, und zwar aus verschiedenen Gründen. Mal möchte man den Geschmack eines nicht so gut schmeckenden Konservierungsmittels kaschieren. Mal geht es darum, dass man Sportgetränken Vitamine zusetzen kann, die eigentlich nicht in Wasser löslich sind, sich aber dank der Nanokapseln doch in der wässrigen Umgebung einsetzen lassen. Daraufhin lässt sich eine Limonade, die eigentlich hauptsächlich aus Wasser und Zucker besteht, als Gesundheitsgetränk verkaufen.
Brot mit einer abgeschnittenen Brotscheibe, Krümeln und einem Messer auf einem Schneidebrett aus Kunststoff. (Rechte: Mauritius/Carlos Sánchez )
Schnei­de­brett: Na­no­par­ti­kel könn­ten sich her­aus­lö­sen

PW: Und wenn man auf dem antibakteriellen Brett sein Brot schneidet, lösen sich doch bestimmt auch Nanopartikel und gelangen so in die Nahrung, oder?

J.V.: Nach meinem Wissen gibt es keine Studien, die solch einen Abrieb untersucht haben. Man weiß jedoch von "normalen" Stoffen, dass sich zum Beispiel aus Kunststoffverpackungen mit der Zeit Partikel herauslösen. Die Vorstellung, dass die Stoffe in den Materialien fest gebunden sind, ist leider eine Illusion. Stoffe, die problematische Eigenschaften haben, sollten also gar nicht erst in Materialien eingebaut werden, die später mit Lebensmitteln in Kontakt kommen. Deswegen ist es auch wichtig, dass Produkte von vornherein darauf geprüft werden, dass all ihre Bestandteile nicht gesundheitsgefährdend sind.
Schematische Darstellung einer Kohlenstoff-Nanoröhre. (Rechte: dpa/picture-alliance/medicalpicture )
Na­no­food: Hirn­schä­di­gun­gen bei Fi­schen be­ob­ach­tet

PW: Was passiert denn mit den Nanopartikeln im Körper, unabhängig davon, ob man sie nun bewusst oder unwissentlich zu sich genommen hat?

J.V. Insgesamt weiß man noch relativ wenig darüber, was Nanomaterialien im Körper bewirken, besonders wenn man sie über die Nahrung aufnimmt. Es gab und gibt natürlich schon einige Forschungsprojekte. Die meisten haben sich jedoch darauf konzentriert, was passiert, wenn man Nanopartikel inhaliert, also einatmet. Das liegt zum einen daran, dass die Nanotoxikologie mit der Debatte über Feinstäube aufkam, denn Feinstaub enthält ja auch Staubteilchen im Nanomaßstab. Zum anderen werden die meisten Nanomaterialien pulverförmig verarbeitet, sodass sie am ehesten während des Herstellungsprozesses über die Atmung aufgenommen werden.

Es gibt jedoch Hinweise darauf, dass bestimmte über die Nahrung aufgenommene Nanopartikel Entzündungsreaktionen im Körper auslösen und Zellschädigungen verursachen könnten. Bei einer Studie kam sogar etwas heraus, was ich besonders schockierend fand: Da hatte man Fischen über die Nahrung Nanopartikel verabreicht und anschließend hatten die Tiere Schädigungen im Gehirn! Die Nanopartikel sind ja so klein, dass sie die Blut-Hirn-Schranke überwinden können. Damit gelangen sie auch an solche Orte, wo normalerweise natürliche Schutzbarrieren bestehen, um eben genau solche Schäden zu vermeiden. Das ist ein Warnsignal.

PW: Wenn der Verbraucher kein Nanofood kaufen möchte, wie kann er sich davor schützen?

J.V.: Das Europaparlament wird 2010 über die Neufassung der sogenannten Novel-Food-Verordnung beraten, dabei wird auch eine Kennzeichnungspflicht für Nanomaterialien in Lebensmitteln diskutiert. Jeder Verbraucher kann sich also an seinen Europa-Abgeordneten wenden und einfordern, dass er oder sie sich für diese Deklarationspflicht einsetzt. Eine weitere Möglichkeit, Nanofood zu meiden, ist, beim Einkauf ganz genau hinzuschauen. Auch wenn auf dem Produkt nicht "Enthält Nanomaterialien" steht, so kann man sich überlegen, ob nicht doch Nanopartikel drin sind, zum Beispiel, wenn eine Limonade damit wirbt, dass sie besonders viele Vitamine enthält. Und wenn man ein Schneidebrett aus dem Regal nimmt, das damit wirbt, antibakteriell zu sein, dann kann man sich fragen: "Brauche ich das überhaupt?" Auf diese Weise kann man eigentlich schon relativ vielen Nanolebensmitteln aus dem Weg gehen.
Interview: Franziska Badenschier, Stand vom 30.06.2010 
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