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Im Jahre 1979 sollte der Iran eine Republik werden und die Zeichen standen gut, zumal der Schah aus dem Land vertrieben wurde. Doch es kommt anders: Die Mullahs reißen die Macht an sich und unterdrücken die Menschen, die nicht in ihrem Sinne handeln. So auch zum Beispiel die Familie der erst achtjährigen Marjane, die den Revolutionären im Kampf gegen den Schah zur Seite standen. Schon bald wird das Kopftuch für Frauen zur Pflicht - Die Islamische Revolution beginnt.

Ein Mädchen - ein Krieg, eine Revolution, drei Kulturen, und doch ein Lachen auf den Lippen. Marjane erzählt über ihr Leben im Iran, ihre Familie, das Exil in Österreich und über ihre Sehnsüchte und Hoffnungen auf eine bessere Welt. Marjane Satrapi und Vincent Paronnaud verfilmen Satrapis Kultcomic als preisgekrönten, schwarzweißen Animationsfilm. Ein Meisterwerk und ein unterhaltsames Plädoyer für Toleranz. Bild aus Persepolis Als 1986 Art Spiegelmans Schwarzweiß-Comic Maus - Die Geschichte eines Überlebenden erschien, trat der Krieg zwischen dem Irak und dem Iran gerade in seinen schlimmste Phase ein. Sechs Jahre später erhielt Spiegelman den Pulitzer-Preis für seinen autobiographisch gefärbten Meilenstein der Comicgeschichte, während Marjani Satrapi nach ihrem Studium in Wien gerade vergeblich versuchte, sich mit dem Leben unter dem Mullah-Regime anzufreunden.
Ihre Lebenserinnerungen, und das als Jahrgang '69, hat sie in vier französischen Comic-Büchern unter dem Titel Persepolis seit dem Winter 2000 publiziert und damit für einen ähnlichen Wirbel gesorgt wie seinerzeit Art Spiegelman. Das Werk, das gerade unter den Intellektuellen und an den Universitäten in den USA besonders hoch geschätzt wird, hat noch nicht den Pulitzer-Preis bekommen, auch wenn die mutige Satrapi diesen durchaus verdient hätte. Aber immerhin hat sie ihre Comics nun mit Hilfe der renommierten Produzentin Kathleen Kennedy sowie Xavier Rigault und Marc-Antoine Robert verfilmt.
In Cannes gab es neben Ovationen gleich den Preis der Jury, und mittlerweile hat der österreiche Ueberreuter-Verlag in Wien den Mut gefunden, den Comic auch im deutschsprachigen Raum herauszubringen. Wie Maus scheint Persepolis unterhalb des "Manga"-konditionierten Radars deutscher Verlage durchgeschlüpft zu sein. Entsprechend vorsichtig positioniert der deutsche Verleih Prokino nun den Start des schwarzweißen Zeichentrickfilms Persepolis. Kein Wunder, liegt das Augenmerk im Kanon exotischer Arthousefilme momentan nicht mehr auf dem Iran. Filme von Kiarostami, Majidi oder aus dem Makhmalbaf-Clan haben momentan das Nachsehen gegenüber Werken aus China, Kurdistan und ehemaligen zentralasiatischer Sowjetrepubliken sowie hausfrauenpoetische Pseudo-Exotika wie Valley of Flowers.
Andererseits erwacht hierzulande verstärkt das Interesse am Islam, wird ein differenzierteres Bild gefordert als nur das bärtiger Bombenleger und anti-amerikanischer Fahnenverbrenner. Vornehmlich auf den ersten beiden Persepolis-Bänden basierend erzählt Filmemacherin Marjane Satrapi gemeinsam mit Vincent Paronnaud allerdings mehr als nur ein persönliches und facettenreiches Bild des Irans.
Frech wie ihre Hauptfigur, die 10-jährig mit dem Slogan "Punk is not ded" (ohne "a") durch das revolutionäre Teheran streunte, liefert sie das Bild einer Kindheit ab, die zwar Unterdrückung, Revolution, Krieg und Verfolgung erleidet, aber trotzdem dieselben Sehnsüchte und Wünsche offenbart, wie jede ach so westliche Kindheit. Gleichzeitig hält sie den Zuschauern durch ihre unschuldige Neugierde und wurzellose Konfrontation mit der fremden Kultur den Spiegel vor. Das könnte ein wenig zuviel des Guten für manchen Besserwessi sein.
Satrapi erzählt die Geschichte ihrer Familie, die sich unter dem Regime des Schahs ein respektables Leben verschafft hat, aber auch Verfolgung und Inhaftierung von Verwandten zu beklagen hat. Während die Eltern Ende der Siebziger Jahre vor allem auf ein Ende der Diktatur hoffen, lebt der intellektuelle Onkel Anouche für eine kommunistische Utopie. Doch die Revolution frißt bekanntlich ihre Kinder, und die Verfolgten unter dem Schah werden unter dem sich zunehmend religiös radikalisierenden Revolutionsregime drangsaliert. Die kleine Marjane versteht das alles noch mehr als Spiel denn als bittere Realität, verspottet die Ordnungshüter, die plötzlich auf islamische Regeln in Kleidung und Verhalten pochen. Das Vorbild sind die liberalen, bürgerlichen Eltern, die heimlich zu Parties gehen und Alkohol trinken, auch wenn plötzlich Krieg mit dem irakischen Nachbarn ist. Der fortschreitenden Radikalisierung im Lande fallen schließlich der geliebte Onkel und andere Bekannte und Verwandte zum Opfer. Als auch noch Teheran von Bomben heimgesucht wird und die Revolutionsgarden zunehmend rauher werden, beschliessen die Eltern zum Segen der Familie das pubertierende Kind nach Wien zu Verwandten zu schicken. Doch dort findet Marjane kein Glück, denn die Verwandten schieben sie bald ab und eine Odyssee durch die fremde Stadt und die unbekannte Kultur beginnt...
Der Crashkurs Persepolis bietet in 96 faszinierenden und fantasievollen Minuten einen tief bewegenden Einblick in die persisch-islamische Kultur. Selbst imposante und gutgemeinte Dokus wie Sudabeh Mortezais Children of the Prophet über die vielfältigen Riten rund um den Aschura-Feiertag vermögen es nicht, das Fremde der anderen Kultur so nah und verständlich ans Publikum zu bringen wie Marjane Satrapi. Das liegt einerseits an den vertrauten liberalen und auf bürgerliche Werte ausgerichteten Familientraditionen, andererseits am Medium Animationsfilm, das Satrapi und Paronnaud so vortrefflich für die Illustration, Akzentuierung und Emotionalisierung ihrer Geschichte zu nutzen verstehen.
Virtuos fokussieren sie auf Details, brechen auf ins Allegorische und bleiben doch beim Alltäglichen, wenn sie nicht gerade Träume und Sehnsüchte illustrieren. Die Wahl des Animationsfilms als Medium, der hierzulande eher skeptisch und nicht als für Erwachsene geeignet verstanden wird, entpuppt sich als ideale Plattform, um Historie mit persönlicher Geschichte zu verflechten und um Emotionen zu visualisieren. Die Wahl von Schwarzweiß verstärkt die künstlerische Akzentuierung noch mehr. Farbig ist nur die winzige Rahmenhandlung, in der eine erwachsene Marjane weinend und voller Heimweh auf dem Flughafen Orly Flugzeuge beobachtet, die gen Teheran abfliegen. Sie weiß, dass sie ihre Heimat vielleicht nie mehr wiedersieht.
Mutig ist Persepolis vor allem in seiner Betrachtung von Religion und Gesellschaft. Satrapi zeigt keine Scheu verschiedenste Weltansichten nebeneinander zu stellen und fundamentalistische Irrwege anzuklagen. Der religiös-repressive Alltag mit all seinen obskuren Auswüchsen zeigt einen Iran, in dem eine breite Schicht nicht gegen die Religion aber gegen die einschnürenden Radikalitäten ist, in der kaum Luft zum Atmen ist. Dabei sind die persönlichen Erlebnisse wichtiger als die Betrachtung von gesellschaftlichen Zuständen. Mit der weisen Großmutter als moralische Instanz besitzt das Werk Klägerin, Verteidigerin und Richterin in einem.
Letztlich geht es in Persepolis allerdings um Heimat und um die Abwesenheit von Heimat und Familie. Gefühlszustände, die immer nachvollziehbar und immer berührend sind. Augenzwinkernd stellt die Erzählerin ihre eigenen Fehler und Exzesse bloß, bleibt menschlich und trotz vieler Schicksalsschläge vor allem humorvoll. Und Humor ist auch das prägende Element der Inszenierung. Selten wurden ernste Themen wie Krieg, Revolution und Fundamentalismus mit derart hintergründigem und lustvollem Witz präsentiert. Durch die Perspektive des unschuldigen Kindes, mit der die Geschichte erzählt wird, schleicht sich auch in den traurigsten und aufwühlendsten Momenten der Schalk ins Bild. So driftet die Handlung nie ins Deprimierende ab, verbreitet fortwährend Hoffnung und verstärkt so den lockeren Plauderton der Erzählung. Daraus entsteht eine ansteckende Beschwingtheit, die Persepolis zu einem ganz besonderen Kinoerlebnis macht. Da bedarf es keines großen Mutes, um sich dieses Ausnahmewerk auf der großen Leinwand anzusehen, sondern Voraussicht. Karten dürften nämlich schwer zu kriegen sein.
von Harald Witz