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Bringt uns die Polwanderung in Gefahr?Hätten die ersten Hominiden, die unseren Planeten bevölkerten, schon einen Kompass besessen, hätte dessen Nadel nach Süden gezeigt. Heute weist sie nach Norden. Das Erdmagnetfeld muss also seine Richtung um 180 Grad gedreht haben – der Südpol wurde zum Nordpol.

Diese Umpolung ereignete sich vor etwa 780 000 Jahren. Das wissen die Geowissenschaftler aus sogenannten paläomagnetischen Daten. Tritt beispielsweise bei einem Vulkanausbruch Magma aus, richten sich eisenhaltige Mineralien darin nach den Linien des Erdmagnetfelds aus. Beim Erstarren der Gesteinsschmelze verharren sie in dieser Position – die jeweilige Magnetfeldrichtung wird gleichsam eingefroren und lässt sich im Labor bestimmen. Mit dieser Methode können die Forscher Umpolungen, die sich in den vergangenen 100 Millionen Jahren ereigneten, gut datieren.
Ein Polsprung wäre nichts Neues

Die Messungen zeigen, dass es etwa alle 500 000 Jahre zu einem Polsprung kam. Der nächste wäre also mehr als überfällig, und womöglich hat der Prozess, der zu einer weiteren Polumkehr führt, bereits begonnen. Ein Indiz dafür ist, dass das Erdmagnetfeld seit Beginn der Messungen vor 170 Jahren bis heute um zehn Prozent schwächer geworden ist. Eine Ende 2005 veröffentlichte Studie ergab zudem, dass sich der magnetische Nordpol im vergangenen Jahrhundert um rund 1100 Kilometer von Alaska in Richtung Sibirien verlagerte. Dabei wanderte er in der Spitze mit 50 Kilometer pro Jahr im Zickzack durch die Tundra. Das Magnetfeld ändert sich also rasant.

Mittlerweile verstehen die Geologen auch weitgehend, was diese Polwanderung bewirkt. Erzeugt wird das Erdmagnetfeld vom sogenannten Geodynamo: Im Erdkern, der größtenteils aus flüssigem Eisen besteht, steigt heißes Magma bis an die Grenze zum Erdmantel auf. Dort gibt es seine Wärme ab, kühlt aus und sinkt wieder ab. Zugleich rotiert der Erdkern. Durch diese sich überlagernden Bewegungen fließt, wie bei einem Fahrraddynamo, im glutflüssigen Erdinnern ein Strom. Der Stromfluss wiederum bringt ein Magnetfeld hervor – eben das Erdmagnetfeld. Physiker nennen diesen Vorgang Induktion, er lässt sich bei jedem stromdurchflossenen Kabel beobachten.
Vielleicht haben wir bald vier oder sogar acht Pole

Im Normalfall hat das Erdfeld zwei Pole. Doch offenbar kommt es in Abständen zu Störungen im Geodynamo. Sie destabilisieren das Magnetfeld. Es wird schwächer, gleichzeitig bilden sich weitere Magnetpole aus. Verringert sich die Feldstärke weiter wie bisher beobachtet, gibt es in etwa 1800 Jahren an der Erdoberfläche ein Feld mit vier Polen (Quadrupol). Es können auch acht Magnetpole entstehen. Damit geht ein Wechsel in der Flussrichtung des Feldes einher. Wenn sich die Störung abschwächt, verschwindet die Multipolstruktur wieder, zwei normale Pole bilden sich aus, diesmal mit umgekehrten Vorzeichen. Dann stabilisiert sich das Feld wieder.

Das prophezeite „Magnet-Chaos“ bleibt aus

Während dieses Prozesses, der etwa 5000 bis 10000 Jahre dauert, verringert sich die Feldstärke an der Erdoberfläche um bis zu 90 Prozent. Das hat natürlich Auswirkungen auf die Erde. Aber sie sind bei Weitem nicht so gravierend, wie sie die „Bild“-Zeitung an die Wand malte, als die Studie von 2005 zur Polumkehr vorgestellt wurde: Ein „Magnet-Chaos“ sei zu erwarten, durch das die Krebsraten steigen und wir im Dunkeln sitzen würden.

Das ist völliger Quatsch. Auch bei einer Umkehr verschwindet das Erdmagnetfeld nicht vollständig. Allenfalls sinkt nach Angaben von Experten des Geoforschungszentrums Potsdam die Magnetopause – die Grenze, an der das Erdmagnetfeld im All endet ab. Heute verläuft sie in etwa 65 000 Kilometer Höhe, das entspricht zehn Erdradien. Schwächt sich das Erdmagnetfeld auf zehn Prozent seines heutigen Wertes ab, verringert sie sich auf fünf Erdradien. Das ist nicht sehr beunruhigend. Denn die Höhenstrahlung oder die Teilchen des Sonnenwinds können auch bei dieser Feldkonfiguration nicht zur Erdoberfläche vordringen und gesundheitsschädigend wirken. Selbst wenn wir das Magnetfeld komplett wegnähmen, würde diese Strahlung von der Lufthülle der Erde abgefangen.

Die Teilchen dringen vornehmlich an den Polregionen in die Atmosphäre ein, wo die Feldlinien senkrecht in den Boden laufen. Am Äquator werden sie sehr stark abgelenkt. Schwächt sich das Feld ab, erreichen allerdings mehr Teilchen die Lufthülle. Dort erzeugen sie mehr Stickoxid, das seinerseits die Ozonschicht in der Stratosphäre schädigt. Dann erreicht mehr UV-Licht von der Sonne die Erdoberfläche.

Zugvögel könnten Orientierungsschwierigkeiten bekommen

Doch wie Simulationen zeigen, bleibt der Ozonabbau auf die Polgebiete beschränkt, so wie heute bei den vom Menschen verursachten Ozonlöchern. Von einer erhöhten Krebsrate in der Weltbevölkerung kann also keine Rede sein. Stromausfälle sind ebenfalls nicht zu erwarten. Allerdings können wir bei einer Feldumkehr nicht nach dem Kompass navigieren. Die Kompass-Navigation spielt aber heute ohnehin kaum mehr eine Rolle. Tiere wie die Zugvögel, die sich am Erdmagnetfeld orientieren, könnten jedoch vorübergehend Schwierigkeiten bekommen. Der Prozess der Polumkehr verläuft allerdings so langsam, dass sie sich mit der Zeit auf die veränderten Feldverhältnisse einstellen können.

Manche fürchten gar die nächste Eiszeit

Einige Forscher vermuten auch einen Zusammenhang zwischen Polsprüngen und Klima. Der Aufprall der kosmischen Strahlung, so ihre Theorie, erzeugt in der Atmosphäre viele Kondensationskeime, an denen sich Wasserdampf anlagert. Es entstehen Tröpfchen, was zu einer verstärkten Bewölkung führt. Wolken aber kühlen die Erde ab. Deshalb könnte dieser Mechanismus Klimaveränderungen bewirken – bis hin zu Eiszeiten. Wäre dies richtig, würde die Polumkehr tatsächlich die ganze Erde und nicht nur einzelne Organismen beeinflussen.

Das gilt auch für eine weitere Hypothese, die ein paar Wissenschaftler vertreten. Sie bringen die großen Aussterbeereignisse, die es in früheren Erdzeitaltern gab, mit den Polsprüngen in Zusammenhang. Tatsächlich gibt es Hinweise, dass bei früheren Polumkehrungen viele Arten von Mikroorganismen, die in den Ozeanen lebten, verschwanden. Auch die Evolution, argumentieren die Forscher, könne von der Polumkehr beeinflusst worden sein. Denn die erhöhte UV-Einstrahlung in den Schwächephasen des Erdmagnetfelds könne bei den Lebewesen Mutationen ausgelöst haben. Diese Erbgutveränderungen hätten dann zur Bildung neuer Arten beigetragen.

Träfe dies zu, wären auch unsere Vorfahren, die vor 780 000 Jahren einen Polsprung erlebten, ohne es zu ahnen, ein Produkt dieser von Veränderungen des Erdmagnetfelds gelenkten Evolution. Folglich würden auch wir unsere Existenz zumindest teilweise der Serie vergangener Polsprünge verdanken.

Quelle: focus.de